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#Corona-AlltagsheldInnen: So sah 2020 für einen Psychologen aus

Psychologe Silvio erklärt: Mit diesen Themen hatten die Menschen 2020 vor allem zu kämpfen.

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2020 ging bei uns allen auf die Psyche. Psychologe Silvio erklärt, was sich dadurch alles verändert hat. Foto: Privatfoto /

In unserer Reihe der #Corona-AlltagsheldInnen stellen wir euch jeden Tag im neuen Jahr eine Berufsgruppe vor, die uns im letzten Jahr ganz besonders unterstützt hat und aus erster Hand erfahren hat, was eine Pandemie eigentlich mit den Menschen anstellt und wie sie ihr Leben verändert.

Deshalb haben wir mit dem Psychologen und künftigen Psychotherapeuten Silvio gesprochen und wollten wissen, wie sich sein Berufsalltag, aber auch die Probleme seiner PatientInnen geändert haben.

In Corona-Zeiten ist mentale Unterstützung & Führung wichtiger denn je

Eine AXA-Studie mit 1.000 Befragten vom Oktober 2020 zeigte, dass in Krisenzeiten unsere psychische Gesundheit leidet. Dabei sind Menschen aller Altersklasse betroffen, doch wegen unterschiedlichen Problemen: Frauen mit Kindern beispielsweise wegen der Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Job, junge Menschen wegen ihres eingeschränkten Lebensstils, alte Menschen wegen der Angst, aber auch den fehlenden Sozialkontakten und der Angst, allein zu sterben.

Auch Menschen, die ohnehin eine ernsthafte psychische Vorerkrankung haben, sind nicht so krisenfest und gaben beispielsweise dreimal häufiger als der Durchschnitt an, die Kontrolle über das Leben verloren zu haben.

Auch interessant: Die Generationen Z und Y setzen sich in der Pandemie besonders stark mit ihrer mentalen Gesundheit auseinander. Und introvertierte Menschen sind beständiger als extrovertierte Menschen, denen die Einschränkungen mehr zu schaffen machen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Pandemie auf die Psyche geht und zwar bei fast allen Menschen, wenn auch unterschiedlich stark. Genau deshalb ist der Beruf des Psychotherapeuten so wichtig, der Betroffenen helfen kann, die eigenen Ängste zu reflektieren und zu bekämpfen. Doch wie sieht psychologische Hilfe aus in der Kontaktsperre? Wir haben einen Experten gefragt.

Im Interview: So hat Corona den Alltag von Psychologen & Psychotherapeuten verändert

Silvio ist 32 Jahre alt, studierter Psychologe und befindet sich gerade in seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten und arbeitet dort bereits in einem psychotherapeutischen Institut. Nebenbei betreut er bei einem Berliner Start-up Menschen, die mit Depressionen, Angstzuständen oder Essstörungen zu tun haben online oder per Telefon.

Wir wollten von ihm wissen, ob sich sein Arbeitsalltag durch Corona geändert hat und ob seine PatientInnen mit anderen Problemen zu ihm gekommen sind durch den neuen mentalen Ballast, den die Lockdowns und die Unsicherheit über die Zukunft mit sich gebracht haben. 

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Wir haben mit dem Psychologen & baldigen Psychotherapeuten Silvio über unsere mentale Gesundheit in Coronazeiten gesprochen.(Photo: Privatfoto)

Hallo Silvio! Schön, dass du die Zeit gefunden hast. Mit dir haben wir das Glück, dass wir zwei Sichten kennenlernen aus dem Berufsfeld eines Psychotherapeuten: nämlich einmal den gängigen Alltag, den du durch deine Ausbildung kennst und dann schon die digitale Arbeit, die du schon vor dem Lockdown durch deinen Beratungsjob bei dem Startup gemacht hast. Deshalb interessiert uns natürlich brennend, wie sich dein Alltag in beiden Jobs verändert hat im letzten Jahr?

Silvio: Für mich hat sich vor allem die Art, wie ich arbeite, geändert. In 

meinem Beratungsjob war alles schon auf digital eingestellt – das blieb gleich. Doch im Institut waren plötzlich normale Therapien nicht mehr möglich und vieles musste auf Video umgestellt werden. Das war für viele Therapeuten totales Neuland und ist bis heute auch immer noch gewöhnungsbedürftig, zum Beispiel wegen des fehlenden Augenkontakts, der für uns sehr wichtig ist. Man fühlt sich auch einfach distanziert und dann doch auf eine Weise nahe zu seinen Patient*innen. Für Einige funktioniert das, für andere gar nicht.

Dann musste ich auch viele seltsame Entscheidungen alleine treffen, ob ich zum Beispiel noch vor-Ort-Therapien mache, ob mit Maske oder ohne wegen der fehlenden Gesichtsmimik und natürlich mit regelmäßigem Lüften und Abstand. Das ist gar nicht so leicht, wenn es dein Job es ist, anderen Menschen erst mal eine Bindung anzubieten und vieles auch aus dem Gespräch heraus entsteht. 

Und dann natürlich diese Sorge im Nacken, ich könnte Überträger sein, weil ich durch die Arbeit natürlich trotzdem viel Menschenkontakt habe. Da ist zum Beispiel eine 85-jährige Patientin, die darauf bestand, wöchentlich persönlich zu kommen.

Also eine echte Herausforderung für den normalen Alltag eines Therapeuten. Haben sich die Probleme deiner Patient*innen auch geändert?

Silvio: Tatsächlich hat sich da einiges geändert. Patient*innen, die länger in Therapie waren, haben sich erst mal darauf konzentriert, ihren Alltag wieder zu organisieren und die Therapie war nicht mehr so wichtig. Bei anderen ist durch den Lockdown vieles, was vorher schwierig war, komplett zusammengebrochen, sodass diese sich dann einen Therapieplatz gesucht haben. 

Ich glaube, am belastendsten ist es, dass viele Behandlungsstrategien wie der Aufbau von angenehmen Aktivitäten, Sport und soziale Kontakte nicht mehr möglich waren. Das ist eigentlich die Basis. Auch Gruppentherapien konnten nicht mehr stattfinden. Für einige Patient*innen mit starken Phobien hat sich andererseits das Leben erleichtert durch den Lockdown – sie konnten angstauslösende Momente besser vermeiden. Jedoch ist dieses langfristig auch keine gute Lösung, wenn es eine Zeit nach Corona gibt.

Die “gelösten Probleme” sind also auch nur Zwischenlösungen. Denkst du, dass es nach Corona wieder einen normalen Alltag in deinem Institut geben wird? Oder hat sich der Beruf des Psychotherapeuten durch Corona nachhaltig verändert?

Silvio: Ich denke, dass es ein Zurück geben wird, dass die Menschen wieder vermehrt ins Behandlungszimmer kommen und Gruppen wieder möglich sind. Ich glaube, wir haben gelernt Videotherapie, für uns zu nutzen und flexibler in unseren Therapiesettings zu werden. Das kann vor allem für Alleinerziehende, Freelancer oder Menschen, die eher flexiblere Therapieformen brauchen, sehr sinnvoll sein. Ich halte allerdings einen hauptsächlichen persönlichen Kontakt für Psychotherapie unabdingbar – vieles vermittelt sich über den Computer einfach zu oberflächlich.

Hast du durch Corona je an deinem Berufswunsch gezweifelt?

Silvio: Ich glaube, ich habe gemerkt, wie wichtig mein Beruf tatsächlich für andere ist. Ich frage mich oft, ob meine Arbeit meinem Gegenüber jetzt eigentlich wirklich nützt. Aber meine Patient*innen waren unheimlich erleichtert und dankbar, dass es weitergeht und das hat mich bestärkt. Da habe ich noch mal genauer verstanden, was wir Therapeuten eigentlich tun.

Was denkst du als Psychologe, wenn du auf das Jahr 2020 zurückschaust und was wünschst du dir für das folgende Jahr? 

Silvio: Es war ein herausforderndes Jahr, vor allem für unsere Psyche, in welchem wir mit vielen überwältigenden Emotionen konfrontiert waren. Unser natürlichstes Sozialverhalten und Interaktionen waren plötzlich nicht mehr möglich: Es gab und gibt eine schwer einzuschätzende Bedrohung, wir wurden von einem unsichtbaren Virus fremdbestimmt und Entscheidungen mussten getroffen werden, mit denen wir aufgrund unserer Natur nicht einverstanden waren.

All das löst Spannungen und Gefühle von Angst und Wut aus und die mussten dann irgendwie nach Außen entladen werden. Das haben wir dann am scheinbaren Kontrollverhalten durch Hamsterkäufe von Toilettenpapier- und Desinfektionsmittel gesehen, aber auch an Protesthaltungen in den Querdenken-Demonstrationen.

Für 2021 wünsche ich mir, dass wir wieder langfristig mehr Selbstbestimmung im Alltag durch Verantwortung erlangen können. Durch kostenlose Schnelltests beispielsweise, die in allen Apotheken erhältlich sind wie in Frankreich. 

Ich wünsche mir, dass wir lernen, unsere Gefühle bezüglich unserer Situation anzusprechen. Es ist okay, sich Sorgen zu machen oder auch genervt und wütend wegen der Pandemie zu sein. Doch der Ausweg in Panik- oder Protestmache bringt niemanden weiter, meiner Meinung nach. 

Das Vertrauen in die Wissenschaft ist, glaube ich, das Wichtigste an dieser Stelle. Und ich hoffe natürlich auch, dass durch die Impfung das soziale und kulturelle Leben wieder in Gang kommt, denn da gibt es einiges aufzuholen.

Vielen Dank Silvio, wir können uns deinen Wünschen für 2021 nur anschließen. Wer mehr von Silvio hören möchte, der sollte seinen Instagram-Account @ranandiewaffel ckecken. Hier gibt er wertvolle Tipps, wie wir in schweren Zeiten unsere mentale Gesundheit pflegen und verbessern können.

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Du kannst Silvio auch auf Twitter folgen.

Silvio war Nummer 8 aus unseren #Corona-AlltagsheldInen. Hier findest du unsere Interviews mit einem Polizisten, einem Lehrer, einem Poetry-Slammer, einer Politikerin, einem Friseur, einer Service-Kraft und einem DJ und ihre Sicht auf das Coronajahr 2020.