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Dragqueen Bambi Mercury „möchte ein Mutmacher für die Community sein“

Auch die queere Community atmet nach der langen einsamen Lockdown-Zeit auf. „Wir mussten neue Wege finden, uns zu vernetzen und zu finden“, schildert Dragqueen Bambi Mercury im Interview.

Bambi Mercury kämpft für mehr Toleranz und Offenheit.. © imago images/eventfoto54
Bambi Mercury kämpft für mehr Toleranz und Offenheit.. © imago images/eventfoto54

Der Pride-Sommer läuft, die wohl bunteste Zeit der LGBTTQIA*-Community. Von Juni bis August finden jedes Jahr zahlreiche Christopher Street Days (CSDs) und Pride-Paraden statt, um ein Zeichen für mehr Toleranz und Offenheit zu setzen. Im Interview erzählt Bambi Mercury (33), bekannt aus der TV-Sendung „Queen of Drags“, Podcaster und Host der Facebook Pride-Talks (Start der Reihe am 8. Juli), warum die queere Community nach der einsamen Lockdown-Zeit endlich wieder aufatmet, wie es um die Toleranz in Deutschland steht und wie er sein Vatersein erlebt.

Können Sie sich noch an Ihren ersten CSD erinnern? Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Bambi Mercury: Ich kann mich nicht mehr allzu genau daran erinnern. Ich glaube es war vor 13 oder 15 Jahren in Hamburg. Es ist generell schön, wenn alle gemeinsam auf die Straße gehen. Mit den Paraden zeigen wir jedes Jahr aufs Neue Präsenz, stehen für unsere Rechte ein und fordern mehr Toleranz. Es ist immerhin eine Demonstration und nicht nur eine Party.

Im vergangenen Jahr fielen große Veranstaltungen wegen der Corona-Pandemie aus. Wie sehr freuen Sie sich jetzt auf den CSD Berlin am 24. Juli?

Bambi: Für die Community wird das mit Sicherheit ein Mega-Highlight in diesem bislang schwierigen Jahr. Der Sommer mit all seinen Pride-Veranstaltungen ist ja für die queere Community per se die schönste Zeit des Jahres. Und dieses Mal, nach den vielen einsamen Lockdown-Monaten, ist sie umso schöner. Ich denke, es ist besonders wichtig, dass wir jetzt wieder unsere Sichtbarkeit erhöhen können – gemäß dem diesjährigen Motto „Save Your Community – Save Your Pride“.

Hat Corona queere Menschen vor besondere Herausforderungen gestellt?

Bambi: Auf jeden Fall, das bestätigen sogar Studien: Laut einer Untersuchung der FH Münster und der Charité Berlin sind während der Pandemie vor allem asexuelle und Transpersonen von einem erhöhten Risiko für Einsamkeit betroffen. Schon vor Corona empfanden bis zu 15 Prozent der LGBTTIQA*-Menschen Einsamkeit laut einer Studie des DIW Berlin und der Uni Bielefeld – doppelt so viele wie der Rest der Bevölkerung. Zu gesundheitlichen und finanziellen Sorgen sind für viele Isolation und mentale Probleme hinzugekommen. Wichtige Anlaufstellen wie Therapiesitzungen fielen mitunter aus. Auch mein Leben wurde auf den Kopf gestellt. Ich bin auf Berlins Bühnen zu Hause, doch da blieb der Vorhang einfach zu. Unsere Community ist outgoing – Partys, Events, Konzerte sind einfach essenziell. Unsere Safe Spaces sind alle weggefallen und somit ein wichtiger Bestandteil unserer Leben. Wir mussten neue Wege finden, uns zu vernetzen und zu finden. Das hat aber zum Glück digital, unter anderem in vielen Facebook-Gruppen, gut funktioniert. In den 90ern wäre es schon problematischer gewesen

Sind die Menschen in den vergangenen Jahren toleranter gegenüber der LGBTTQIA*-Community geworden oder muss sich da noch viel ändern?

Bambi: Ob die Toleranz zugenommen hat, kann ich pauschal leider nicht mit ja beantworten. Rechtlich hat sich etwas getan, seit 2017 haben wir in Deutschland die gleichgeschlechtliche Ehe. Das war ein großer, aber auch überfälliger Schritt. Neu ist auch die Einführung des „d“ für „divers“ etwa bei Stellenausschreibungen. Ein vermeintlich kleiner Buchstabe, der unserer Community aber sehr viel mehr Sichtbarkeit verschafft. Dennoch bleibt viel zu tun. In Berlin kann ich mich zum Glück ganz zu Hause fühlen. Aber es gibt immer noch Orte, an denen wir uns nicht willkommen fühlen. Darüber spreche ich auch im Rahmen der Community-Pride-Wochen von Facebook mit Brix Schaumburg. In diesem Sommer hat er eine Pride-Fahrradtour durch Deutschland gemacht und er wird von seinen Reiseerlebnissen vom Allgäu bis an die Nordsee erzählen. Außerdem spreche ich mit Benjamin Pröbsting, dem Gründer der Facebook-Gruppe Queer Camping und Vanlife DACH. Er verrät die besten Urlaubstipps für queere Camper. Das zeigt: Es tut sich was und das muss es auch – damit wir uns irgendwann überall in der Gesellschaft gleichberechtigt bewegen können und es generell auch NORMAL ist.

Was kann/sollte denn jeder für mehr Akzeptanz tun?

Bambi: Wir leben noch immer in einer heteronormativen Gesellschaft. Das heißt, Heterosexualität wird als „normal“ angesehen, alles andere bildet angeblich die Ausnahme. Wenn wir von dieser Sicht wegkommen und die gelebte Vielfalt erkennen und vor allem anerkennen, wird die Welt zu einem besseren Ort. Und dazu können alle beitragen: indem man zum „Ally“, zum Verbündeten, wird. Allies haben den nötigen Perspektivwechsel bereits vollzogen und stehen den LGBTTQIA* im Alltag zur Seite. Sie machen den Mund auf, wenn sie Zeuge systemischer oder ganz persönlicher Diskriminierung werden. Egal, ob am Arbeitsplatz, im Familien- oder Freundeskreis. Wenn irgendwo ein blöder Spruch fällt, dagegenhalten! Sagen, dass das nicht klar geht. Je mehr Fürsprecher und Fürsprecherinnen wir haben, desto eher wird ein gesellschaftliches Umdenken möglich sein. Deswegen finde ich es auch wichtig Fragen zu beantworten und mein Umfeld nicht zu belehren, sondern aufzuklären und zu informieren.

Wie engagieren Sie sich persönlich für die LGBTTQIA*-Community?

Bambi: Ich hoffe, dass ich als Person mit meinen Auftritten und Engagements ein wichtiges „Aushängeschild“, vielleicht sogar Vorbild für die Community sein kann. Am besten aber ein Mutmacher: Ich möchte zeigen, wie stark wir sind und was alles möglich ist, wenn man als queerer Mensch in Deutschland im Jahr 2021 lebt. Klar, es gibt noch Luft nach oben, aber wir sind auf einem guten Weg! Vor allem möchte ich auch Eltern von queeren Kindern Mut machen und bin auch immer offen für Fragen.

Welchen Rat können Sie Menschen geben, die unter Vorurteilen oder Diskriminierung leiden?

Bambi: Teilt euch mit! Niemand sollte still leiden und Angst und Verzweiflung mit sich allein ausmachen. Es gibt offizielle Anlaufstellen, zu denen man gehen kann oder die telefonische Seelsorge anbieten. Aber auch digital geht einiges: Allein in Deutschland sind mehr als 300.000 Menschen Mitglied in einer der 9.000 öffentlichen Facebook-Gruppen, die die queere Community unterstützen. Alle, die das Bedürfnis haben, sich mit persönlichen Gefühlen und Gedanken an jemanden zu wenden, sollten nicht zögern. Der Spruch ist alt, aber ich finde ihn sehr wahr: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Vielleicht könnte man ihn auch umschreiben: Geteiltes Leid erzeugt neue Kraft.

Wie gehen Sie selbst mit negativen Kommentaren um?

Bambi: Ich habe gelernt, nicht jede verletzende Äußerung an mich ranzulassen. Einfacher als gesagt. Manchmal gibt es doch noch Dinge, die einen sehr erschüttern. Aber ich fokussiere mich auf mich selbst, auf das, was ich bin und sage mir: Eigentlich sind diese Hater ganz schön arm dran. Jeden Tag so viel Hass mit sich rumschleppen, das kann kein gutes Lebensgefühl sein. Im Internet sind zahllose Menschen schlimmen Attacken ausgesetzt, nicht nur queere Menschen. Es kann im Grunde jeden treffen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Wir sind viele!

Gemeinsam mit Ihrer besten Freundin haben Sie 2019 dank künstlicher Befruchtung Zwillinge bekommen. Wie funktioniert das Co-Parenting?

Bambi: Dieses Modell bedeutet eine große Freiheit für alle Identitäten, denn es bricht das Korsett der traditionellen Familie auf. Zwei erwachsene Menschen tun sich zusammen und bekommen ein Kind. Dabei spielt Liebe – im Sinne von „die große Liebe“ – zueinander keine Rolle, genauso wenig wie ihre Sexualität. Co-Parenting kann ganz viele Spielarten haben. Klare Absprachen sind wichtig: Leben die Eltern zusammen? Wenn nicht, bei wem lebt das Kind? In welcher Form findet das gemeinsame Familienleben statt? Wer kommt finanziell für was auf? Im Grunde sind das Fragen, die auch jede heteronormative Familie betreffen. Im Übrigen gibt es Co-Parenting auch unter Heterosexuellen: zum Beispiel, weil die biologische Uhr tickt, die große Liebe aber auf sich warten lässt.

Welche Vorurteile müssen Sie sich in diesem Zusammenhang immer wieder anhören?

Bambi: Regenbogenfamilien bekommen nicht die gleiche Anerkennung wie heteronormative Familien. Vater, Mutter, Kind: Das gilt noch immer als das klassische Familienmodell. Aber Liebe zwischen Mann und Frau ist nun mal nicht alles. Und: Liebe allein ist nicht alles. Zum Familienleben gehört viel mehr dazu: ein gutes Team sein zum Beispiel. Und dass die Eltern ähnliche Werte und Weltanschauungen vertreten, die sie ihren Kindern mitgeben wollen. Viele heterosexuelle Ehen werden geschieden, sie kann also nicht die einzige, funktionierende Grundlage für eine Familie sein.

Sie sind durch „Queen of Drags“ einem breiten Publikum bekannt geworden, würden Sie rückblickend noch einmal teilnehmen?

Bambi: Mit Blick auf die Sichtbarmachung unserer Community ist die Sendung ein wichtiger Meilenstein. Drag-Künstler im Mainstream-Programm – so etwas hat es zuvor in Deutschland in der ganzen Medienlandschaft noch nicht gegeben! Ich habe diesem Format viel zu verdanken. Denn für mich persönlich war es die Möglichkeit, auf die Bühne zu treten und öffentlich zu zeigen, wer ich bin und wofür ich stehe.

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