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Experte erklärt: Warum Angststörungen jeden treffen können

Eine Angststörung kann jeden treffen – auch dich. Ein Experte erklärt im Interview, was hinter der psychischen Erkrankung steckt.

Junge Frau im Portrait
Egal, ob du selbstbewusst oder schüchtern bist – eine Angststörung kann auch dich treffen. Ein Experte steht uns Rede und Antwort. Foto: GettyImages/Maria Maglionico / EyeEm

Angststörungen sind eine häufig auftretende psychische Erkrankung, vor der niemand gefeit ist. Egal, ob du ein selbstbewusster oder schüchterner Mensch bist – die Angst kann wirklich jedem treffen. Im Prinzip ist sie eine ganz natürliche Reaktion unseres Körpers. Wird sie jedoch irrational und verselbstständigt sich, wird sie zum Problem, weiß unser Experte.

Dr. Martin Greetfeld im Interview über Angststörungen

Im Interview verrät uns Dr. Martin Greetfeld, was hinter dieser psychischen Erkrankung steckt, warum jede:r dafür anfällig ist und welche Behandlungsmethoden erfolgreich sind.

Die Verselbstständigung der Angst

Dr. Greetfeld ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 13 Jahren arbeitet er an der Schön Klinik Roseneck. Er ist Chefarzt an der Schön Klink Roseneck in Prien am Chiemsee und der Schön Klinik Tagesklinik in München. In einem Telefoninterview stand er uns Rede und Antwort zum großen Themenfeld der Angststörungen…

Pressebild Dr. Martin Greetfeld
Dr. Martin Greetfeld hat uns am Telefon verraten, was Angststörungen eigentlich sind & warum sie jede:n ereilen können.

wmn: Wie würden Sie eine Angststörung mit einfachen Worten definieren?

Dr. Greetfeld: Zunächst einmal ist Angst eine überlebenswichtige Emotion, die es nicht nur Menschen, sondern auch vielen anderen höher entwickelten Lebewesen ermöglicht, auf Bedrohungen in der Umwelt zu reagieren. Eine Angstreaktion spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab – auf einer gedanklichen, emotionalen oder körperlichen. In der Angstreaktion kommt es durch Botenstoffe im Körper zu einer Alarmreaktion, die den Körper vorbereitet, rasch Energie bereitzustellen – für die Kampf- oder Fluchtreaktion.

Angst ist also eine evolutionsbiologisch wichtige und alte Emotion. Aber wenn sich Angst sozusagen verselbstständigt, das heißt, wenn ein Missverhältnis zwischen dem Auslöser und dem Ausmaß der Angst entsteht, wird diese Emotion zum Problem.

Beeinträchtigt diese Angst den Betroffenen so stark, dass er in seinem Alltag nicht mehr zurechtkommt, er womöglich Situation wie das Herausgehen oder Einkaufen vermeidet, dann spricht man zusammen mit aufkommendem Leidensdruck von einer Angststörung. Im Endeffekt ist es also ein sich Verselbstständigen von einer normalen, überlebenswichtigen Situation.

Frau Angststörungen
Wenn Angst sich verselbstständigt und für Leid bei den Betroffenen sorgt, spricht man von einer Angststörung. Foto: IMAGO/ Addictive Stock

Betroffene ereilt die Angst oft aus heiterem Himmel

wmn: Wie hängt die Angststörung mit der Panikstörung und spezifischen Phobien zusammen? Handelt es sich hier um eine Art Überbegriff?

Dr. Greetfeld: Ganz genau. Der Begriff Angststörung ist der Überbegriff. Panikstörungen und spezifische Phobien sind ganz häufige Varianten von der Angststörung. Bei Panikattacken steht eine massive Angstreaktion aus heiterem Himmel mit starken körperlichen Symptomen im Vordergrund. Bei spezifischen Phobien geht es klassischerweise um Spinnen, Schlangen, Höhe oder auch Spritzen. Es gibt aber auch noch andere Angststörungen als Unterformen: zum Beispiel die soziale Angst oder die generalisierte Angststörung.

Weiterlesen: Was hinter der sozialen Angst genau steckt, erfährst du hier.

wmn: Welche charakteristischen Symptome weist eine Angststörung auf, körperlich wie auch psychisch?

Dr. Greetfeld: Da unterscheiden sich natürlich die unterschiedlichen Formen der Angststörungen voneinander. Bei der Panikattacke erleben die Betroffenen stärkste Angst aus heiterem Himmel mit dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Auf gedanklicher Ebene dreht es sich häufig um sowas wie: Ich bekomme einen Herzinfarkt, ich werde sterben. Und auf der körperlichen Ebene sind es massive Angstsymptome wie Schwitzen, Herzrasen, beschleunigte Atmung bis hin zur Hyperventilation.

Weiterlesen: Wie du Panikattacken erkennen kannst und welche akuten wie auch präventiven Maßnahmen helfen, liest du hier.

Die Panikattacken gehen häufig einher mit der Agoraphobie, eine weitere Form der Angststörung. Das ist die klassische Platzangst. Da geht es darum, dass den Betroffenen beispielsweise Menschenmengen Angst machen und sie diese Situationen dann meiden. Im Endeffekt suchen sie Situationen nicht mehr auf, wo die Idee besteht, dass man in einer Notsituation nicht schnell genug Hilfe bekommen könnte.

Zum Beispiel meiden sie Theater aus Angst, hier einen Kreislaufzusammenbruch zu erleben und nicht schnell genug an die frische Luft zu kommen. Teilweise werden aber auch Spaziergänge gemieden, weil man dort allein sein könnte.

Junge Frau im Portrait

Die Angstgedanken enden in einem Teufelskreis

wmn: Sie betonen, dass Panikstörungen aus heiterem Himmel kommen. Diese Form der Angststörung hat also keinen Auslöser, keinen Trigger?

Dr. Greetfeld: Wenn man genau hinschaut, findet man häufig einen Teufelskreis der Angst. Klassischerweise sind es harmlose Körperreaktionen wie ein kurzes Herzstolpern, was vorkommen kann und in aller Regel wenig bedenklich ist.

Das wird dann aber interpretiert als: Oh Gott, ich krieg jetzt ein Herzinfarkt. Da geht die gedankliche Kaskade los, die schmeißt das ganze Stresshormonsystem an. Das treibt den Pulsschlag wiederum in die Höhe. Der Betroffene merkt, dass das Herz anfängt zu rasen und sieht das als Bestätigung dafür, dass ein Notfall vorliegt. So schaukelt sich der Angstkreislauf auf.

Kreislauf der Angst
Wenn wir unsere körperlichen Symptome fehlinterpretieren, können Angstgedanken entstehen. Foto: trigubova, sparklestroke, nassyart via canva.com [M] nach Margraf & Schneider (1990)

Wenn das mit einer Situation gepaart ist wie bei der Agoraphobie, also wenn es im Kaufhaus oder im vollen Bus passiert, wird derjenige diese Situation meiden und so fixiert sich diese Angst. Das ist im Endeffekt verhaltenstherapeutische Lerntheorie.

Das heißt, wenn ich das negative Erlebnis der Panikattacke dadurch vermeide, dass ich mich nicht mehr in die Situation begebe, wird das Gehirn durch dieses Vermeidungsverhalten belohnt. In der Folge ziehen sich die Betroffenen immer weiter zurück. Es gibt aber auch Panikattacken aus dem Nichts und aus dem Schlaf raus. In der Therapie wird man dann versuchen, solche Auslöser zu finden, weil das natürlich gut ist, um eine Intervention zu erzeugen.

Eine Angststörung kann „wirklich jeden treffen“

wmn: In Deutschland sind jedes Jahr 28 % der Erwachsenen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Wie viele Menschen sind denn von Angststörungen betroffen?

Dr. Greetfeld: Es ist bei psychischen Erkrankungen häufig so, dass mehrere Diagnosen parallel auftreten. So ist es schwierig, von den 28 % einen Anteil zu benennen. Wenn man aber guckt, wie viele Menschen im Laufe des Lebens erkranken, dann ist man ungefähr bei sechs Prozent aller Menschen im Bereich der Panikstörung und Platzangst. Zwölf Prozent sind es bei sozialen oder spezifischen Phobien. Das sind also sehr häufige psychische Erkrankungen.

wmn: Kann jeder im Laufe seines Lebens an einer Angststörung erkranken oder gibt es Menschen, die besonders anfällig dafür sind?

Dr. Greetfeld: Es kann wirklich jeden treffen. Da ist dieser Teufelskreis, den ich bereits angesprochen habe, ein griffiges Erklärungsmodell. Dort, wo ein Fehllernen des Organismus stattfindet, wenn es also einmal zu einem Aufschaukeln von Wahrnehmung von einem potenziellen bedrohlichen Reiz kommt, kann es tatsächlich viele Menschen betreffen.

Es gibt außerdem in der Häufigkeit ein kleines Übergewicht Richtung Frauen. Je nach Angststörung liegt hier ein Verhältnis von 2 zu 1 oder 1,5 zu 1 vor. Bei manchen Angststörungen findet man auch ganz fassbare Auslöser, wie das Erleben einer medizinischen Notfallsituation.

Es ist wie so häufig im Bereich der psychischen Störungen aber häufig ein Mix aus dem sogenannten biopsychosozialen Modell. Es gibt also auch genetische Dispositionen, also die Veranlagung, dass die Angstreaktion schnell überschießt, aber natürlich auch biografische Faktoren wie eine überängstliche Erziehung, Mobbingerfahrungen usw…

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Du möchtest wissen, ab wann man sich professionelle Hilfe suchen sollte, welche Therapieformen bei Angststörungen wirksam sind und wie erfolgversprechend eine Therapie ist? Dann schau dir hier den zweiten Teil des Interviews mit Dr. Greetfeld an…