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Bipolare Störung: Ein Leben zwischen Hypomanie und Depression

Wie äußert sich eine Bipolare Störung und wie gehen Angehörige damit um? Eine Betroffene teilt ihre emotionalen Erfahrungen mit uns und räumt mit Vorurteilen auf.

Frau mit bipolarer Störung schaut in einen gebrochenen Siegel.
© Shutterstock/PeopleImages.com - Yuri A

Bipolare Störung: Betroffene erklärt, auf welche Symptome du achten solltest | wmn

Im Interview klären wir mit der Betroffenen, Melanie Ernst, woran man eine bipolare Störung erkennen kann, wie die Erkrankung bei ihr verlief und was sie anderen Betroffenen und Angehörigen rät.

Menschen, die an einer Bipolaren Störung leiden, erleben eine rauschende Berg-und Talfahrt ihrer Gefühle. Oft wissen sie anfangs nicht, was mit ihnen geschieht. So erging es auch Melanie. Im Alter von 25 Jahren wurde bei ihr eine Bipolare Störung festgestellt. Eine Diagnose, für die sie lange kämpfen musste. Mit uns teilt sie ihre Erfahrungen und erzählt, wie sich die Krankheit heute auf ihr Leben auswirkt.

Bipolare Störung: Was sind die Symptome?

wmn: Welche Symptome hattest du, als die Bipolare Störung bei dir festgestellt wurde?

Melanie: Das Ganze reicht acht Jahre zurück. Das erste Symptom für die Bipolare Störung war bei mir die Depression. Eine Bipolare Störung ist ein Wechselspiel zwischen hypomanen, manischen oder depressiven Episoden. Bei mir war es zuerst die Depression. Die Depression äußert sich bei jedem unterschiedlich. Bei mir war es damals so weit, dass ich gar nichts mehr tun konnte. Einfachste Dinge sind mir schwergefallen. Bis zu dem Punkt, dass ich auch gar nicht mehr richtig sprechen konnte, mich gar nicht mehr richtig artikulieren konnte. Ich konnte am Ende auch gar nicht mehr schlafen. Ich war nur noch eine Hülle von mir selbst.

Letzten Endes war ich dann sieben Wochen im Krankenhaus, auf einer psychosomatischen Station. Da wurde bei mir erstmals die Depressionen auch medikamentös behandelt. Das hat in der Folge dazu geführt, dass ich in eine hypomane Episode gekommen bin, quasi in eine Hochphase, die leider nicht als solche erkannt wurde, weder von mir noch von anderen. Und das hatte ganz schlimme Auswirkungen auf mein Leben.

Damals hat meine Familie die Vermutung geäußert, dass das eine Bipolare Störung sein könnte. Und als ich nach dieser Phase wieder in die Depression gerutscht bin, ist mir dann zum ersten Mal der für mich damals sehr schlimme Verdacht gekommen, dass das tatsächlich die Wahrheit sein könnte. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich auf die Suche begeben, ob das stimmen könnte.

Depression
Eine Depression kann lähmen. Foto: istock, Yelizaveta Tomashevska /

Wie entsteht eine Bipolare Störung?

wmn: Ist eine bipolare Störung angeboren oder entwickelt sich diese Krankheit erst?

Melanie: Eine bipolare Störung an sich ist nicht vererbbar. Aber die Veranlagung ist vererbbar. Das bedeutet, dass eine gewisse Vulnerabilität besteht. Belastende Lebensereignisse können dann dazu führen, dass die Bipolare Störung ausbricht. Das können schwere Erlebnisse sein, wie Traumata. Aber auch so etwas wie ein Jobverlust oder eine Trennung. Das ist, vereinfacht gesagt, wie ein Virus, der dann ausbricht. Die Veranlagung ist da, aber es muss nicht ausbrechen.

In meiner Familie waren in früheren Generationen schon vereinzelt psychische Probleme vorhanden. Deshalb führe ich es bei mir zum einen auf die genetische Veranlagung zurück. Zum anderen habe ich damals mein Studium abgebrochen und das hat dann dazu geführt, dass das bei mir ausgebrochen ist. Da ist alles zusammengebrochen. In der Folge kam es dann zu diesen Auswirkungen.

Wie lange dauert es, bis eine Diagnose gestellt werden kann?

wmn: Wie lange hat es gedauert, bis du die Diagnose bekommen hast?

Melanie: Von meinem ersten Krankenhausaufenthalt bis zur endgültigen Diagnose waren es tatsächlich drei Jahre. Ich habe damals, als ich die Vermutung geäußert habe, dass es eine Bipolare Störung sein könnte, von Ärzt:innen und Therapeut:innen die Aussage gehört, dass man eine Bipolare Störung nur dann diagnostizieren kann, wenn während der Behandlung jede Phase mindestens einmal auftritt. Aber das ist nicht wahr, wie ich später erfahren habe, sondern man kann eine Bipolare Störung auch rückwirkend diagnostizieren. Wenn man beispielsweise nur eine einzige hypomane Phase vor drei Jahren hatte, kann man das auch schon festmachen.

Der Prozess der Diagnostik, also vom Zeitpunkt an, an dem ich angefangen habe, das mit meiner Therapeutin zu diagnostizieren, hat zweieinhalb Monate gedauert. Das ging über mehrere Therapiesitzungen, wir sind immer wieder den ICD- und DSM-Fragebogen und die ganzen Sachen durchgegangen. Es ist mir auch immer ganz wichtig, zu sagen: Die Diagnostik muss gut und ausführlich passieren, da kann sich kein:e Ärzt:in und kein:e Therapeut:in hinsetzen und sagen: ‚Ich glaube, Sie haben das‘, nachdem man jemanden nur ein, zweimal gesehen hat. Sondern das ist ein zeitaufwändiger Prozess, so eine Diagnose zu stellen. Und das ist auch sehr aufwühlend und anstrengend.

Helles und dunkles Profil
Die Bipolare Störung ist ein Wechselspiel aus Euphorie und Depression. Foto: IMAGO / Ikon Images

wmn: Kannst du dich an ein Erlebnis erinnern, was besonders schlimm für dich war in Bezug auf die Bipolare Störung?

Melanie: Das Schlimmste war eigentlich mein erster Krankenhausaufenthalt, als ich meine erste Depression hatte, weil ich eigentlich gar nicht wirklich wusste, was mit mir gerade passiert. Ich hatte immer gehört, bei einer Depression kommt nicht aus dem Bett, man fühlt sich irgendwie taub, aber ich war einfach voller Panik und Angst. Ich konnte nicht mehr schlafen, litt unter Schlafstörungen und konnte auch motorisch nichts mehr machen. Es war so, als wäre ich einfach nicht mehr da. Und das war für mich ganz, ganz schwierig.

Ich habe gedacht, ich bin dement oder so. Das war wirklich schwer für mich, weil ich nicht wusste, dass ich eine Depression hatte. Ich war völlig fertig und es war wirklich eine ganz schlimme Zeit im Krankenhaus. Im Krankenhaus zu sein, ist natürlich auch nicht schön. Wie es mir damals ging, das wünsche ich einfach niemandem. Ich kann das eigentlich über jede Depression sagen. Meine letzte Depression ist zwei Jahre her. Es ist nicht schön, wenn man auf der Arbeit ständig auf Toilette gehen muss, weil man Heulkrämpfe hat. Aber auch wenn man von der Hypomanie wieder in die Depression kommt und sich dann im Rückblick fragt: Was habe ich getan? Warum habe ich das gemacht?

Von außen sieht man nicht, dass ich diese Krankheit habe. Aber es ist immer ein Thema.

Melanie über die Bipolare Störung

Wie reagieren Außenstehende auf die Krankheit?

wmn: Wie hat deine Familie reagiert, als du die Diagnose bekommen hast? Wie haben deine Freund:innen reagiert und hättest du dir eine andere Reaktion gewünscht?

Melanie: Die Reaktionen waren sehr verhalten. Die Leute waren immer sehr eingeschüchtert und haben so getan, als würde das jetzt etwas ganz Krasses bedeuten. Man hat gemerkt, dass die Leute das Wort gar nicht in den Mund nehmen wollten. Dann hieß es: ‚Deine Krankheit, die du da hast, du weißt schon…‘ Das war für mich schwierig, zu akzeptieren. Denn da habe ich gemerkt, es ist doch ein Tabuthema für die Menschen.

Ich hätte mir, glaube ich, einfach mehr Neugier, mehr Offenheit gewünscht, weil ich schon das Gefühl hatte, das hat die Leute erschreckt. Für war das mit ganz viel Unsicherheit verbunden, obwohl ich ja immer noch dieselbe Person war und dieselben Probleme hatte. Das war so eine Ratlosigkeit, denn ich dachte: Okay, dann ist das jetzt so und das ist nicht nur eine Phase. Das wurde so diagnostiziert und das bleibt jetzt so. Aber ganz oft kam dann die Frage: ‚Bist du dir sicher, dass du das hast?‘ Dabei habe das ja nicht ich entschieden.

wmn: Wie lebst du heute mit der Krankheit?

Melanie: Ich bin seit zwei Jahren symptomfrei, das heißt, ich habe keine depressiven oder hypomanen Phasen. Ich muss gut auf mich achten, aber ich bin auch dank Medikamenten sehr stabil. Ich nehme seit zwei Jahren Medikamente, ich habe es vier Jahre ohne versucht, was sehr schwer war. Im Rückblick, denke ich, habe ich mich damit vielleicht mehr belastet, als ich es hätte müssen.

Ich arbeite Vollzeit in einem Job, den ich total liebe und den ich sehr gerne mache. Ich bin in einer Beziehung seit sieben Jahren, ich wohne in meiner eigenen Wohnung. Von außen sieht man nicht, dass ich diese Krankheit habe. Aber es ist immer ein Thema. In jeder Lebensphase oder wenn sich was ändert, muss ich gut auf mich achten und aufpassen, dass es nicht zu viel wird. Worauf ich ganz besonders achten muss, ist mein Schlaf: Wie schlafe ich zurzeit und was brauche ich gerade? Das ist echt wichtig. Dafür habe ich eine Sensibilität entwickelt. Medikamente haben mir gut geholfen, aber es ist auch immer die Frage, ob das ausreicht oder ob man an der Medikation etwas ändern muss. Es ist auf jeden Fall eine lebenslange Aufgabe.

Junges Paar Umarmung
Als Partner:in einer Person mit Bipolarer Störung muss man auch gut auf sich selbst achten. Foto: IMAGO / Westend61

Wie wirkt sich die Bipolare Störung auf zwischenmenschliche Beziehungen aus?

wmn: Hat die Bipolare Störung auch Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen?

Melanie: Ja, definitiv hat es Auswirkungen, gerade in der hypomanen Phase. Viele haben das Bild von der Manie oder der Hypomanie, dass das total positiv ist und total super und man hat da den Spaß seines Lebens und ist total gut gelaunt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Manchmal auch, weil man sehr reizbar, sehr wütend ist, sehr schnell in Streit und Konflikte gerät und auch sehr sprunghaft und waghalsig ist.

Da geht man teilweise durch Situationen mit dem Partner oder der Partnerin, in denen man denkt: Was passiert da, man erkennt die Person gar nicht wieder. Das kann sehr belastend für eine Partnerschaft sein. Wenn z. B. in der Depression der Partner oder die Partnerin sexuell nicht mehr die Lust verspürt oder vielleicht ganz arg traurig ist, muss man schauen, wie man das aushalten kann. Ich finde es ganz wichtig, zu sagen, dass man immer gut auf sich achten muss als Partner:in einer Person mit einer psychischen Krankheit oder einer Bipolaren Störung. Dass man auch selber ein gutes Support-System hat und sagt: ‚Okay, das ist mir gerade zu viel, ich kann das nicht mehr.‘

Man ist nicht eine Sorte Mensch, sondern noch ganz viel mehr als diese Krankheit.

Melanie über die Bipolare Störung

Es belastet auf jeden Fall Partnerschaften, Freundschaften. Es hat das Potenzial, Menschen zu entfernen. Aber genauso hat es das Potenzial, Menschen näher zusammenzubringen und in den Dialog zu gehen und wirklich intime, wichtige Gespräche zu führen. Freundschaften, die dann auch wirklich sehr tief werden. Und man entwickelt eine ganz große Empathie für andere. Man sieht die Welt nochmal aus einer ganz neuen Perspektive.

Ich für mich kann sagen, dass ich z. B. meinen Beruf – ich arbeite im sozialen Bereich – wahrscheinlich gar nicht gewählt hätte, wenn ich nicht diesen Krankheitsweg hinter mir hätte. Denn das hat mir gezeigt, wo man als Mensch hinkommen kann und wie man Menschen da auch wieder rausholen kann.

Wie kann man Betroffenen einer Bipolaren Störung helfen?

wmn: Wie sollte man damit umgehen, wenn man Symptome einer Bipolaren Störung bei einer Person aus dem Bekanntenkreis feststellt?

Melanie: Es gibt mittlerweile ganz viele Ressourcen und Hinweise, ganz viel Hilfestellung, was man tun kann als Angehörige:r, wenn man bei jemandem eine Depression feststellt. Ich würde sagen, die Frage ist eher, was ist, wenn man merkt, dass der- oder diejenige in eine hypomane oder manische Phase kommt, was man dann meistens auch im Anschluss an eine Depression erkennt. Und da ist es, finde ich, ganz wichtig, die Dinge anzusprechen, die man beobachtet. Sensibel, aber auch vorsichtig. Das wird der Person nicht gefallen, der man das sagt. Die wird nicht gerne hören: ‚Hey, ich habe das Gefühl, was du gerade machst, könnte eventuell gefährlich werden. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich habe Angst um dich. Oder: Hey, ich habe das Gefühl, du hast dich verändert.‘

Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man da ist. Dass man versucht, nicht von oben herab zu urteilen, nicht so krass zu werten. Mir hat es unheimlich geholfen, dass Menschen einfach für mich da waren. Vielleicht nicht direkt an mir dran, aber von denen ich wusste, die sind einfach da.

Sowohl in der Depression als auch in der hypomanen Phase fand ich es immer sehr hilfreich, Routinen zu haben. Zum Beispiel: ‚Ich ruf dich jeden Abend um 18 Uhr an oder wir gehen jeden Mittwoch ein Eis essen.‘ Das hat so ein bisschen Stabilität gebracht in so einer inneren Welt, die total chaotisch war. Was ich auch ganz wichtig finde, ist, auf jeden Fall Ressourcen zur Verfügung stellen. Zu sagen: ‚Guck mal, hier habe ich ein Buch gelesen oder hier habe ich eine Therapiestelle gefunden oder so.‘ Und auch zu Arztbesuchen zu begleiten, wenn die Person das möchte, zu Therapeut:innen begleiten und eben einfach da sein. Ich glaube, das ist das Beste und das Wertvollste, was man machen kann für eine Person, die in so einer Situation ist.

Freundinnen TV
Betroffenen kann es helfen, mit anderen Zeit zu verbringen. Foto: IMAGO / Cavan Images

wmn: Was wünschst du dir für den Umgang mit der Krankheit?

Melanie: Mir als betroffene Person ist es ganz wichtig, dass die Menschen mehr Informationen haben, was das Thema angeht, zum Beispiel, dass es verschiedene Arten einer Bipolaren Störung gibt. Es gibt Grad 1, es gibt Grad 2, Rapid Cycling, es gibt so viele unterschiedliche Arten, wie sich die Krankheit äußert in Menschen.

Mich nervt es immer, wenn Leute sagen: ‚Ach, das ist doch, wenn man manisch-depressiv ist, oder nicht?‘ Das sagt man heute gar nicht mehr. Tatsächlich ist das eine schwere Krankheit. Stand heute auch unheilbar. Aber man kann damit sehr gut leben. Man kann damit ein ganz normales Leben führen – in Anführungszeichen – wie jede:r andere. Und man ist nicht unberechenbar oder ein hoffnungsloser Fall. Man ist nicht eine Sorte Mensch, sondern noch ganz viel mehr als diese Krankheit oder diese Störung.

Ich würde mir wünschen, dass wir da nicht mehr so sehr zurückschrecken davor, dass wir da einfach offen sind. Weil ich finde, über Depressionen wird ganz viel gesprochen, was ich auch sehr positiv finde und was sehr wichtig ist. Aber ich finde, das Thema Bipolare Störung gehört eben auch dazu und es ist meiner Meinung nach irgendwie noch gar nicht so richtig angekommen. Es wäre mir einfach sehr wichtig, dass es da gute Informationen dazu gibt und dadurch auch das Stigma reduziert wird. Weil ich finde, je mehr Informationen wir haben, desto leichter wird es für Betroffene und deren Angehörigen, sich damit irgendwie wohlzufühlen.

Als ich meine Diagnose bekommen habe, habe ich lauter Schreckensmeldungen gesehen und Videos, in denen gesagt wurde: Das ist ganz furchtbar und das ist ganz schlimm. Und ich finde, je mehr Informationen und auch Geschichten wir darüber in die Öffentlichkeit bringen, desto positiver können wir das dann auch in die ganze Welt hinaustragen und damit Menschen helfen, die betroffen sind.

Weitere Informationen über Bipolare Störung findest du bei der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. und bei den Neurologen und Pychiatern im Netz