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Tag der Bildung: Das sind die größten Herausforderungen

Seit 2015 findet jährlich am 8. Dezember der Tag der Bildung statt. Vor welchen Herausforderungen wir aktuell stehen, erklärt Dr. Elke Völmicke im Interview.

Dr. Elke Völmicke
Dr. Elke Völmicke

Noch immer hängen die Bildungschancen in Deutschland stärker als in anderen Industrieländern von der sozialen Herkunft ab. Das spiegelt auch eine neue Forsa-Umfrage zum Tag der Bildung am 8. Dezember unter Jugendlichen wider. Eine Mehrheit von 59 Prozent der befragten 14- bis 21-Jährigen glaubt demzufolge nicht daran, dass es Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem gibt.

„Das ist der schlechteste Wert seit unserer ersten Befragung im Jahr 2015 und damit ein Alarmsignal, das wir ernst nehmen sollten“, mahnt Dr. Elke Völmicke, Geschäftsführerin Bildung & Begabung, dem Talentförderzentrum des Bundes und der Länder, im Interview. Gleichzeitig erinnert die Expertin aber auch an die zahlreichen positiven Beispiele. „Vielfältige Projekte aus aller Welt engagieren sich bereits für gute und chancengerechte Bildung. Diese Beispiele müssen in den Fokus gerückt werden, damit wir zeigen können, wie gelungene Bildung aussieht.“

Frau Dr. Völmicke, was ist der Tag der Bildung und wofür braucht es diesen?

Dr. Völmicke: Der Tag der Bildung ist ein Aktionstag, der das Thema jährlich am 8. Dezember in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Und genau dafür brauchen wir diesen Tag. Bildung erhält nach wie vor nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient, dabei ist sie der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme auf der ganzen Welt. Wir wollen am Tag der Bildung aber auch Bildungserfolge feiern und engagierte Bildungsinitiativen sichtbar machen und miteinander vernetzen.

Anlässlich des Tags der Bildung wurde eine repräsentative Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben, um die zu befragen, deren Perspektive in der Diskussion meist nicht berücksichtigt wird: Jugendliche und junge Erwachsene. Eine Mehrheit von 59 Prozent der befragten 14- bis 21-Jährigen glaubt nicht daran, dass es Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem gibt. Was folgt für Sie daraus?

Dr. Völmicke: Das ist der schlechteste Wert seit unserer ersten Befragung im Jahr 2015 und damit ein Alarmsignal, das wir ernst nehmen sollten. Gleichzeitig kommt eine aktuelle Studie des Stifterverbandes und McKinsey „Vom Arbeiterkind zum Doktor“ zum Ergebnis, dass sich die Chancen in der Bildung für Kinder aus Nichtakademikerfamilien in den letzten Jahren über alle Bildungsstufen verbessert haben. Die positive Entwicklung ändert allerdings nichts an dem grundsätzlichen Trend: Die soziale Herkunft entscheidet noch immer maßgeblich über den Bildungserfolg eines Kindes. Die Verbesserung der Chancengerechtigkeit ist und bleibt daher für uns die zentrale Aufgabe. Wir müssen die jungen Erwachsenen in ihren Einschätzungen ernst nehmen und allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, das Beste aus ihren Talenten zu machen – unabhängig von ihrer Herkunft oder dem sozialen Hintergrund.

61 Prozent der Befragten halten Kenntnisse über Klima- und Umweltschutz für relevant für ihre persönliche berufliche Zukunft – mehr als Kenntnisse in Politik und Geschichte. Brauchen Kinder und Jugendliche angesichts der drohenden ökologischen Krise andere Lerninhalte?

Dr. Völmicke: Dass Jugendliche den Klimaschutz als zentrale gesellschaftliche Aufgabe verstehen, sehen wir ja auch an der Bewegung Fridays for Future. Spannend ist, dass gerade die jungen Menschen immer wieder daran erinnern, dass wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage für alle Entscheidungen im Bereich Klima- und Umweltschutz sein sollten. Aber es ist nicht nur die ökologische Krise, die neue Lerninhalte, Kompetenzen und Fertigkeiten nötig machen. Parallel stehen wir vor einer digitalen Transformation, die all unsere Lebensbereiche erfasst und verändert. Von den politischen Herausforderungen mal gar nicht zu sprechen. Bei der Bewältigung dieser Herausforderung, Beantwortung all dieser Fragen sollten wir immer auch im Austausch mit den Jugendlichen selbst bleiben, denn sie wollen ihre Zukunft mitgestalten. 

Sie haben die Jugendlichen auch eigene Forderungen an die Politik formulieren lassen. Worum geht es dabei?

Dr. Völmicke: Uns liegt viel daran, die Jugendlichen als Gestalter ihrer eigenen Bildung zu begreifen. Also fragen wir sie und hören ihnen zu. Auf Basis der eben genannten Umfrage haben die jungen Erwachsenen vier Forderungen formuliert. Sie plädieren für eine kostenfreie Bildung, die allumfassend zu verstehen ist. Das heißt: Egal, ob es sich um ein digitales Endgerät oder ein Schulheft handelt, es sollte kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Sie fordern auch eine stärkere Unterstützung von „abgehängten“ Schülerinnen und Schülern – zum Beispiel durch Nachhilfeprogramme oder Angebote in den Ferien. Die Jugendlichen wollen außerdem, dass die Schule zu einem „Safe Space“ wird. Das heißt, Schule soll ein Rückzugsort für die sein, die sonst von Diskriminierung, Marginalisierung oder anderen Formen der Ausgrenzung betroffen sind. Dafür braucht es mehr Schulsozialarbeiter und Psychologen an den Schulen. Zuletzt fordern sie, dass die Potenziale der digitalen Lernangebote auch genutzt werden und der Distanzunterricht weiterhin ermöglicht wird – auch über die Pandemie hinaus.

Nicht erst seit der Pandemie ist für viele das Schlagwort der Stunde nicht nur Bildung, sondern auch digitale Bildung. Wie sehen Sie das?

Dr. Völmicke: Natürlich ist Bildung in Zeiten der digitalen Transformation eine zentrale Herausforderung. Dabei geht es auf der einen Seite um die gerade schon beschriebenen neuen Kompetenzen, die nötig sind, aber auch um neue zukunftsorientierte, co-kreative und partizipative Prozesse des Lernens. Deshalb widmen wir uns am Tag der Bildung 2021 auch dem Thema „Lernen und Lehren in Zeiten digitaler Transformation“. Wichtig ist uns aber, dass neben den vielen Herausforderungen auch gesehen wird, dass vieles schon sehr gut läuft. Vielfältige Projekte aus aller Welt engagieren sich bereits für gute und chancengerechte Bildung.

Warum ist es wichtig, auch positive Beispiele in den Fokus zu rücken?

Dr. Völmicke: Eben, weil es viele positive Beispiele gibt. Diese werden in der Diskussion darüber, was nicht so gut läuft, leider oft vergessen. Diese Beispiele müssen in den Fokus gerückt werden, damit wir zeigen können, wie gelungene Bildung aussieht. Wir wollen damit aber natürlich auch zum Nachahmen animieren. Nur wenn wir voneinander lernen, können alle davon profitieren.

Zum Tag der Bildung finden zahlreiche analoge und digitale Aktionen und Veranstaltungen statt, welche stechen besonders heraus?

Dr. Völmicke: Auf unserer zentralen virtuellen Bildungskonferenz werden die Jugendlichen ihre selbst erarbeiteten Forderungen und Lösungsvorschläge für ein besseres Bildungssystem präsentieren und diese unter anderem mit der brandenburgischen Bildungsministerin und Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst, und Prof. Dr. Olaf Köller, Vorsitzender der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, diskutieren. Es ist großartig, dass die jungen Erwachsenen endlich einmal direkt mit politisch Verantwortlichen dazu sprechen können. Meistens wird viel über Kinder und Jugendliche gesprochen, aber nur in den seltensten Fällen mit ihnen. Auch auf unsere weiteren Gäste Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, und Journalist Günther Jauch kann man gespannt sein. Parallel wird es ein Online-Festival geben, auf dem Bildungsengagierte aus ganz Deutschland ein vielfältiges Programm mit Seminaren, Konferenzen, Lesungen und Workshops präsentieren werden. Hier werden viele der positiven Beispiele unserer Bildungslandschaft sichtbar gemacht.

(obr/spot)