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Kummer an Weihnachten? „Corona hat die trübe Stimmungslage verstärkt“

Nicht alle verbinden mit Weihnachten etwas Positives. Psychiater Dr. Andreas Hagemann klärt im Interview auf.

Die Weihnachtsfeiertage können für viele eine psychische Herausforderung sein.. © Halfpoint/Shutterstock.com
Die Weihnachtsfeiertage können für viele eine psychische Herausforderung sein.. © Halfpoint/Shutterstock.com

Für die einen ist Weihnachten die schönste Zeit des Jahres. Für andere stellen die Feiertage „zwischenmenschlich und sozial“ eine „enorme Herausforderung“ dar, weiß Dr. Andreas Hagemann, Psychiater und Ärztlicher Direktor der Privatklinik Merbeck und Röher Parkklinik. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät er, warum Weihnachten in vielen Trübsal auslöst, was die Corona-Pandemie damit zu tun hat und ob es eine Weihnachts-Depression gibt.

Während sich viele auf die Weihnachtszeit freuen, löst sie in anderen eher Trübsal aus. Was steckt dahinter?

Dr. Andreas Hagemann: Insbesondere für Menschen, die allein sind oder gerade erst ihren Partner verloren haben, ist die Zeit der Besinnung vielfach schwer erträglich. Erinnerungen an schöne Zeiten machen die langen Feiertage für sie regelrecht zur Qual. Doch auch in „intakten“ Familien führen überzogene Erwartungen an das „Fest der Liebe und Harmonie“ häufig zu Zwistigkeiten, Frust und Enttäuschungen. Insbesondere Menschen, die zu Depressionen neigen, fühlen sich durch den Druck der Umwelt, fröhlich und glücklich zu sein, häufig noch einsamer und gestresster.

Medizinisch gesehen gibt es streng genommen keine „Weihnachts-Depression“. Doch zwischenmenschlich und sozial bedeuten die Feiertage für viele eben eine enorme Herausforderung.  

Warum kommt es im Winter häufiger zu Depressionen?

Hagemann: Werden die Tage kürzer und trüber, sinkt bei vielen Menschen auch die Stimmungslage erheblich. Der ausgeprägte Lichtmangel führt dazu, dass der Körper vermehrt das stimmungssenkende Schlafhormon Melatonin produziert, dafür aber weitaus weniger das Wohlfühl-Hormon Serotonin. Die Folge: eine saisonal abhängige Depression (SAD), so der medizinische Fachbegriff. Diese äußert sich ähnlich wie die „klassische“ Schwermut – nämlich durch Antriebs- und Energielosigkeit, Interessenverlust, Niedergeschlagenheit und Ängste. In der Regel sind diese Symptome aber nicht so stark wie bei einer Depression. Zudem kommt es bei dem „Winterblues“ vielfach zu einem ausgeprägten Schlafbedürfnis und verstärktem Appetit, vor allem auf süße und kohlenhydratreiche Kost. Bei Depressionen sind hingegen Schlafmangel und Gewichtsreduktion eher typisch.

Welche Menschen leiden jetzt häufiger unter Stimmungsschwankungen oder Depressionen?

Hagemann: Vor allem Alleinstehende sowie Menschen mit bereits bestehenden Stimmungsschwankungen oder Depressionen geraten in dieser Zeit schnell in eine Krise. Auch Menschen, die einen Hang zum Perfektionismus haben und damit extrem hohe Erwartungen an sich und ihre Umwelt stellen, spüren, dass sie oder andere den Erwartungen nicht gerecht werden können. Zudem verspüren auch Menschen, die sich bereits ohne den Druck der „harmonischen Weihnachtszeit“ einsam oder missverstanden fühlen – vielleicht sogar trotz fester Beziehung – dass etwas nicht stimmt. Zusammenfassend sind gestresste Menschen eher anfällig für Stimmungsschwankungen und Depressionen.

Was verstärkt die „Winterdepression“?

Hagemann: Die anhaltende Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen hat die trübe „Stimmungslage“ natürlich vielfach zusätzlich verstärkt. Auch dieses Jahr werden viele Familienfeiern wieder im kleineren Kreis stattfinden und so mancher geplante Besuch vielleicht ganz gestrichen. Das ist insbesondere für einsame und alleinstehende Menschen schwer erträglich. „Driving Home for Christmas“, wie es bei Chris Rea so schön heißt, fällt aus. Zudem gibt es verschiedene Anzeichen, dass z. B. ein niedriger Vitamin-D-Spiegel oder Bewegungsmangel eine Winterdepression verstärken können.

Wie kommen Betroffene aus der „Winterdepression“ heraus?

Hagemann: Auch wenn es depressiven Menschen schwerfällt: Hilfreich ist es, sich nicht einzuigeln, sondern möglichst aktiv zu sein, häufig das Haus zu verlassen. Spaziergänge, Wanderungen, Fahrradtouren (wenn das Wetter es zulässt) oder ähnliches bringen uns auf andere Gedanken und wirken stimmungsaufhellend. Denn diese Outdoor-Aktivitäten führen zu einer höheren Produktion des glückssteigernden Neurotransmitters Dopamin im Gehirn. Zudem wird stimmungsförderndes Vitamin D zu 90 Prozent durch UV-Strahlung, also Sonnenlicht, in der Haut gebildet. Selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt noch Licht durch und wirkt so belebend. Und auch ausreichende Entspannung steuert einem adventlichen Stimmungstief entgegen: Ob Wellnessbad, Weihnachtsmarkt oder Autogenes Training – wichtig sind kleine Auszeiten zwischendurch.

Wie sollten Angehörige mit Betroffenen umgehen, denen es nicht so gut geht?

Hagemann: Helfen kann ich als Angehöriger vor allem durch Anteilnahme und Verständnis. Das bedeutet konkret: Auch bei langanhaltenden depressiven Phasen nicht die Geduld zu verlieren. Dass dies nicht einfach ist – vor allem, wenn sich Depressive abweisend oder teilnahmslos verhalten – wissen viele Angehörige aus eigener Erfahrung.

Gut ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass depressive Menschen nur schwer Gefühle zeigen können. Dahinter steckt auch keine Absicht – sie können zur Zeit einfach nicht anders. Teilweise dominieren bei den Männern zudem Gereiztheit bis hin zu Wut und Aggressivität, was das Miteinander natürlich auch nicht vereinfacht.

Fundierte Informationen über die Erkrankung und deren typische Symptome helfen nicht nur dem Patienten bei der Einordnung seiner Beschwerden: Angehörigen, die über Ursachen und Hintergründe einer psychischen Erkrankung Bescheid wissen, fällt es in der Regel auch leichter, die Betroffenen sinnvoll zu unterstützen und Anteilnahme zu zeigen.

Hält ein Stimmungstief mehr als zwei bis drei Wochen an, so sollte dem Betroffenen dringend geraten werden, den Hausarzt zu konsultieren. Denn: Unbehandelt vergehen Depressionen oft nicht von alleine und können chronisch werden.

Wie überstehen Betroffene am besten die Weihnachtsfeiertage?

Hagemann: Vermeiden sollte man es, Heiligabend und die Weihnachtstage alleine zu verbringen. Vielleicht gibt es im Umkreis spezielle Angebote für Menschen, die an den Feiertagen Anschluss suchen – vielfach helfen Kirchen oder soziale Einrichtungen weiter.

Wer alleine feiert, der sollte sich möglichst selbst Abwechslung und Zerstreuung gönnen: Ein schöner Weihnachtsfilm, die Lektüre des Lieblingsbuchs oder ein Wellness-Bad sind nur einige der möglichen kleinen „Glücksmomente“. Auch Sport hilft uns an langen Weihnachtstagen auf andere Gedanken zu kommen und schlechter Stimmung entgegenzuwirken.

Wer im Kreis der Familie oder guter Freunde feiert, der sollte eventuell zuvor konkret die eigenen Vorstellungen/Wünsche kommunizieren und überzogener Erwartungshaltung somit wesentlich entgegensteuern. Dies reduziert den Druck und schützt vor Enttäuschung. Denn: Viele wünschen sich perfekte Weihnachten – und geraten durch ihren Perfektionismus und eine überzogene Erwartungshaltung in eine Stressfalle.

Menschen, die bereits in einer Depression gefangen sind, sollten mit ihrem Arzt und ihrem Psychotherapeuten versuchen, individuell eine Tagesstruktur auch an den Weihnachtsfeiertagen zu planen. In akuten Krisen helfen die Notfallnummern – beispielsweise der Telefonseelsorge oder der sozialpsychiatrischen Dienste.

Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111

Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der auf Burnout-Störungen und Depressionserkrankungen spezialisierten Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen sowie der Privatklinik Merbeck im nordrhein-westfälischen Wegberg. Schwerpunkt dieser erst kürzlich eröffneten Einrichtung ist die multimodale psychosomatische Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzen und Schmerzstörungen.

(eee/spot)