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#CoronaAlltagsheldInnen: Wie Lehrer in der Corona-Pandemie an ihre Grenzen kommen – ein Interview

#CoronaAlltagsheldInnen: Ein Lehrer aus Sachsen erklärt, warum man von Kindern verlangt, sich entgegen ihrer Natur zu verhalten.

Lehrer Corona Pandemie
Wer klatscht eigentlich für die LehrerInnen? Unsere Reihe der #CoronaAlltagsheldInnen stellt euch heute einen jungen Lehrer vor, der alles gibt, um in der Corona-Pandemie Bildung zu vermitteln. Ps. Das ist ein Stockbild, nicht Julius. Foto: Getty Images/ miodrag ignjatovic /

Menschen in systemrelevanten Berufen, aber auch alle, die in ihrem Job versuchen, ein möglichst normales Leben aufrechtzuhalten, kommen dieser Tage an ihre Grenzen und müssen sich jeden Tag neu orientieren. Wie schwer das ist und wie die Pandemie das Berufsleben verändern kann, zeigen wir in unserer Themenreihe der #Corona-AlltagsheldInnen. Im Auftakt haben wir einen Lehrer dazu interviewt, wie die Corona-Pandemie sein Leben und das seiner SchülerInnen verändert hat.

LehrerInnen in der Corona-Pandemie – die Herausforderung

Seit Anfang des Jahres steht das Land kopf. Wir alle erinnern uns noch an die ersten bekannten Einzelfälle von Covid-19, wie sie durch die Nachrichten geisterten und keiner genau wusste, was da noch auf uns zukommen würde. Heute, knappe 11 Monate später, haben sich nach RKI-Informationen bereits über 1,6 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert und 30.000 Menschen fanden allein in Deutschland den Tod im Zusammenhang mit dem Virus.

Diese Pandemie trifft jeden Einzelnen. Zugegeben, für viele ist schlicht der Bewegungsmangel das größte Problem. Bei anderen ändert sich hingegen die gesamte Biografie. Und dann gibt es da noch die Menschen, für die Anfang des Jahres auf den Balkonen geklatscht wurde. Die Systemrelevanten, die über Bewegungsmangel nur müde lachen können und die deutlich gemacht haben, dass sie keinen Applaus brauchen, sondern Entlastung, faire Vergütung und Momente zum Durchatmen. 

Lehrer in der Corona-Pandemie
Lehrer werden in der Krise besonders gefordert. Wie sich das Leben genau geändert hat, verrät Lehrer Julius uns im Interview. Ps. Das ist ein Stockbild, nicht Julius.(Photo: Getty Images/ serts)

Interview: So ergeht es Lehrer Julius während der Pandemie

Weniger beklatscht und dennoch wahre Corona-AlltagsheldInnen sind LehrerInnen, die dieser Tage vor der enormen Herausforderung stehen, Bildung auf Distanz zu ermöglichen. Für sie kam der erste Lockdown plötzlich und ließ wenig bis keine Zeit, um auf das Konzept des Homeschooling umzuschwenken. Eine Situation, auf die keiner so richtig vorbereitet war. Auch nicht Julius (28), der als Oberschullehrer in Leipzig arbeitet und Kinder der Klassenstufen fünf bis zehn unterrichtet

Es fällt einem jetzt noch schwerer, wirklich alle Schüler mit dem Unterrichtsstoff mitzunehmen.

– Julius, Lehrer in der Corona-Pandemie

wmn: Wie hast du dich gefühlt, als während des ersten Lockdowns die Schulen schließen mussten und auf Notbetreuung umgeschaltet haben?

Julius: Schwer zu sagen. Man hat sich zunächst gedacht: Oh Gott, wie kriegen wir das jetzt hin? Was müssen wir jetzt machen? Aber es war weniger ein Schock als ein Funktionieren.

wmn: Wie hat sich deine Arbeit durch die Pandemie verändert?

Julius: Sie ist digitaler geworden, sie ist unberechenbarer geworden und es fällt einem jetzt noch schwerer, wirklich alle Schüler mit dem Unterrichtsstoff mitzunehmen.

wmn: Wie gut funktioniert das Digitale denn an Schulen, da hört man ja eher, dass Deutschland ganz schön hinterherhinkt?

Julius: (lacht) Wenn man als Startbasis 0 % hat und jetzt bei 10 % ist, dann ist man schon durchaus digitaler geworden. Was aber nicht heißt, dass es digital funktioniert. Ich denke aber, es sind jetzt viele Sachen schneller an Schulen eingeführt worden, als es sonst der Fall gewesen wäre. 

In Sachsen zum Beispiel haben wir eine sehr gute Onlineplattform Lernsachs. Über die können wir Aufgaben verteilen, Daten hochladen, mit den Schülern in Kontakt bleiben und ohne die Krise hätte es wahrscheinlich noch Jahre gedauert, bis wir unsere Schule dort integriert hätten.

Von Staatsseite kam da allerdings keinerlei Unterstützung. Das hat alles unsere Schulleitung gewuppt. Zudem haben aber auch ein junges Kollegium, das wenig Probleme damit hatte. Aber an anderen Schulen gab es viel größere Probleme damit, wie wir gehört haben.

wmn: Und was meinst du, wenn du sagst, dein Alltag als Lehrer in der Corona-Pandemie wäre unberechenbarer?

Julius: Allein die erste Meldung, dass Unterricht von zu Hause stattfinden soll, wurde damals im März an einem Samstag veröffentlicht, mit Wirkung ab Montag. Das heißt, keiner konnte mehr etwas organisieren und wir mussten dann von 0 auf 100 unseren Schülern, ohne mit denen noch mal in direkten Kontakt treten zu können, diese neue Form des digitalen Lernens nahebringen. Da waren die meisten Schüler noch nicht mal in der Plattform angemeldet, weil man für die Datensicherheit erst mal das Einverständnis der Eltern braucht. 

Das heißt, wir mussten alles über die Schulwebsite machen und mussten zusehen, wie man alle Schüler erreicht. Von oben wurde nur gesagt: Macht jetzt mal. Das kann man am Anfang der Pandemie noch verstehen, aber es ging genauso weiter. 

Wir als Lehrer erfahren alle Informationen zuerst über die Presse. Irgendwann zwei Wochen später kommt dann eine Meldung vom Schulamt, die dann meist schon nicht mehr aktuell ist und vom Inhalt kaum Hilfe gibt, weil sie nur grobe Rahmenbedingungen setzt, die jede Schule selbst auskaspern muss. Man weiß nie, was kommt. Es gibt keine Planungssicherheit und man lebt von einem SMK-Beschluss (Staatsministerium für Kultus) bis zum nächsten. 

Kinder Corona
Ewige Diskussionen und Kinder, die mehr snacken, um die Maskenpflicht zu umgehen.(Photo: Getty Images/ Marko Geber)

wmn: Wie hat sich dein Arbeitsalltag denn im Kleinen verändert? Erzähl gerne mal aus dem Nähkästchen?!

Julius: Dazu habe ich kürzlich einen interessanten Satz gelesen. Und zwar, dass man von Kindern verlangt, sich zu benehmen, wie sich noch kein Kind in der Geschichte verhalten hat. Als würden wir den Kindern sagen, wie sie sich zu verhalten haben, die Kinder halten sich dran und das Problem wäre gelöst. 

Man muss beispielsweise immer darauf achten, dass alle Kinder sich die Hände waschen, wenn sie in die Schule reinkommen. Dass sie die 1,5 Meter Abstand halten, außer am Sitzplatz. Dass alle eine Maske tragen, sobald sie sich von ihrem Platz erheben. Aber auch nur, wenn sie nicht essen. 

Auf dem Schulhof müssen sie beispielsweise auch die ganze Zeit Maske tragen – außer wenn sie essen. Was natürlich dazu führt, dass die schlauen Jugendlichen sich lauter Snacks einpacken, um dann die Pause ihre Chips zu essen und zu sagen: Ich brauche keine Maske, ich esse ja gerade!

Das sind zum Teil ewige Diskussionen mit Schülern wie trag jetzt deine Maske, zieh sie richtig hoch, hast du deine Hände schon gewaschen… Zum Teil vergessen sie es. Zum Teil haben sie keinen Bock drauf. Man reißt sich wirklich den Popo auf, um das alles zu organisieren und droht mit Strafen, wenn die Kinder sich nicht an die Regeln halten und setzt die auch durch. 

Aber dann setzen die Schüler zwei Schritte aus der Schule, sind also außerhalb des Kontrollbereichs und lecken oder knuddeln sich schon wieder ab – wie Teenager halt sind. Manchmal denkt man sich dann schon, dass alle Maßnahmen an Schulen total sinnlos sind, weil die Schüler vor und nach der Schule sowieso machen was sie wollen.

wmn: Spürst du einen größeren Druck auf deinen Schultern als Lehrer, um den Kindern dennoch gute Bildung zu ermöglichen?

Julius: Ich persönlich sehe bei mir keinen Druck. Das liegt aber auch daran, dass ich vom Charakter so gestrickt bin. Ich versuche mein Bestes, um meine Schüler mitzunehmen und das mitzugeben, was sie unter diesen Bedingungen möglich ist. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es für viele Kollegen sehr anstrengend ist, die ihren Anspruch nicht aufgeben wollen.

Sind wir mal ehrlich: Wenn ich den Job jetzt weiterführen würde im gleichen Engagement, wie ich es normalerweise im Unterricht machen würde, wäre das schlicht nicht möglich. Dann müsste ich Aufgaben im persönlichen Telefonat mit den Schülern erklären und fragen, ob sie das verstanden haben und müsste gegebenenfalls helfen – und das bei jedem Schüler. Ich habe 13 Klassen á 25 Schüler. So viele Stunden hat der Tag nicht.

Ich versuche mein Bestmögliches zu tun, was aber nicht möglich ist, fällt pandemiebedingt einfach weg.

– Julius, Lehrer in der Corona-Pandemie

wmn: Fühlst du dich denn angemessen entlohnt für diese erschwerten Arbeitsbedingungen?

Julius: Ich persönlich ja. Grundständig ausgebildete Lehrer mit Studium und abgeschlossenem Referendariat verdienen in Deutschland sehr gut. Vor allem in Bundesländern, in denen verbeamtet wird. Da befinden wir uns gehaltstechnisch schon auf niedrigem Management-Level.

Schwieriger ist es für die Lehrer, die Seiten- oder Quereinsteiger sind und dadurch niedriger eingruppiert sind. Das finde ich sehr ungerecht, zumal sie die gleiche Arbeit machen wie ich. Und die bekommen zum Teil deutlich weniger Lohn. Wir sprechen hier von 500-1.000 € netto weniger im Monat…Das ist dann schon schwierig.

Diese Maßnahmen gegen Corona helfen im Alltag.

wmn: Wie stehst du dazu, dass die Schulen geschlossen werden? Gerechtfertigt oder fatal für die Kinder?

Julius: Beides. Es ist einfach ein Versagen des Systems vorher. Man hätte viel früher auf den Hybrid-Unterricht setzen müssen, der richtig gut funktioniert hat. Denn im Hybrid-Unterricht sind die Gruppen viel kleiner. Das heißt, die ganze Schuldynamik mit den Klassen ist entzerrt, weil die Klasse nicht mehr gemeinsam vor Ort ist. Das heißt auch, dass das gemeinschaftliche Gefühl weg ist und dann nehmen die Kinder die Schule auch eher als Ort wahr, an dem sie ihre Aufgaben machen und nicht als soziales Konstrukt.

Es heißt auch, dass man die Aufgaben individuell besprechen kann und die Schüler sieht. Nicht wöchentlich wie im Normalbetrieb, aber immerhin alle zwei Wochen – je nach System. So kann man sehen, wo die Schüler Probleme haben und kann Hinweise geben. Dann können die Schüler das zu Hause bearbeiten, bis man sie wiedersieht und das Ganze erneut auffangen kann.

Jetzt, wenn alle zu Hause sitzen, habe ich als Lehrer keinerlei Kontrolle darüber, wer wirklich etwas macht. Man weiß außerdem nicht, ob sie es allein gemacht haben oder ob es die Eltern gemacht haben und was ganz fatal ist: Vor allem an meiner Schule sind viele Kinder aus bildungsschwachen Haushalten, die sich zum Teil schwer motivieren können und die auch keine Familie haben, die sie auffängt.

Eher im Gegenteil, wir haben Familien mit sechs bis sieben Kindern, die nur zwei Kinderzimmer haben inklusive einen Rechner. Das geht nicht. Wenn überhaupt, haben sie dann nur ihr Handy, um die Aufgaben zu lösen. So sind sie nahezu unerreichbar. Und genau die Kinder werden im Schuljahr immer weiter zurückfallen. Nach der kurzen Zeit kann man jedoch kaum abschätzen, wie stark die Wissensverluste bei den Schülern wirklich sind. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Wer motiviert ist, wird aus dieser Pandemie eher gestärkt hervorgehen, weil man gelernt hat, selbstständig zu arbeiten. Aber die Schüler, die aus bildungsfernen Haushalten kommen und sowieso schon Probleme haben, die fallen unten runter und für die ist es besonders fatal.

– Julius, Lehrer in der Corona-Pandemie

wmn: Was bräuchte es in dieser Zeit an Schulen und für Lehrkräfte? Was muss sich ändern deiner Meinung nach? 

Julius: Ein Konzept, welches uns einen vernünftigen Rahmen gibt und eine Planungssicherheit für drei bis vier Monate. Dann kann jede Schule ihre Abläufe entsprechend optimieren. Am besten in einem Hybridmodell. 

Denn in diesem Homeschooling System kann ich als Lehrer streng genommen nicht davon ausgehen, dass die Schüler ihre Aufgaben verstanden haben und behalten, was sie lernen. Rein theoretisch müsste ich alles noch mal wiederholen, was ich jetzt mit ihnen mache, was ungemein zeitfressend ist. 

Beim Hybrid-Unterricht kann ich das alle zwei Wochen auffangen. Dann schafft man zwar nicht ganz so viel Unterricht, aber das was man schafft, kann man wenigstens abhaken. Und ich kann die Leistungsschwachen besser auffangen.

Zuletzt braucht es vernünftige Rahmenbedingungen, die allen Schulen helfen, sodass nicht jede Schule sich ein eigenes Konzept ausdenken muss.

Lehrerin Klassenzimmer
LehrerInnen geben zur Zeit alles, um den Kindern gute Bildung zu ermöglichen. Zeit, sie zu unterstützen.(Photo: Getty Images/ Drazen Zigic)

LehrerInnen in der Corona-Pandemie sind wahre AlltagsheldInnen

LehrerInnen sorgen dafür, dass die Generation von morgen mit Bildung versorgt wird, die es dringend braucht, um unser Land auch zukünftig voranzubringen. Leider büßen sie die letzten Jahre an Prestige ein und werden beispielsweise in Berlin nicht mal mehr verbeamtet – trotz Lehrermangel. Zu welch unfairen Lohngefällen das führen kann, hat Julius unter anderem beschrieben.

Und dennoch bemühen sich LehrerInnen im ganzen Land während der Corona-Pandemie und unter erschwerten Arbeitsbedingungen darum, dass Kinder eine angemessene Bildung bekommen. Es ist also an der Zeit, LehrerInnen wieder die Anerkennung zu zollen, die ihnen gebührt. Und zwar nicht durch Klatschkonzerte, sondern durch die Einflussnahme der Politik. 

Ein übergeordneter Plan bzw. eine einheitliche Rahmenbedingung, die Schulen unterstützt und nicht länger im Regen stehen lässt, wäre dafür schon mal ein Anfang. 

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